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Lernwirksam unterrichten an Förderschulen und Mittelschulen » Klassenführung » Demokratisch erarbeitete Klassenregeln

Lernwirksamer Unterricht wird ermöglicht durch demokratisch erarbeitete Klassenregeln

Es gibt Klassenregeln, die fundamental wichtig sind, weil sie einen sicheren, verlässlichen sowie strukturiert-überschaubaren Rahmen schaffen. Dies gilt umso mehr, sofern sie von den Schülerinnen und Schülern aktiv, zielorientiert sowie konstruktiv erarbeitet wurden.

Von Schülerinnen und Schülern demokratisch erarbeitete Klassenregeln werden nachhaltiger umgesetzt und befolgt (Doyle / Doyle 2012), weil sie die Qualitäten erfüllen:

Schülerinnen und Schüler fühlen sich durch ihre „Souveränität“ bzw. durch die maßgebliche Beteiligung an der Entscheidungsfindung stark mit den Regeln verbunden. Sie haben nicht nur das Gefühl, sondern die Gewissheit, dass ihre Anliegen, Bedürfnisse und Meinungen berücksichtigt wurden und zeigen daher evident Bereitschaft und Motivation die Regeln einzuhalten.
Die Klassenregeln bekommen damit die Qualität der „Originalität“.

Die demokratische Erarbeitung der Klassenregeln fördert immens das Verständnis für deren Sinn und Zweck. Die Schülerinnen und Schüler haben die Möglichkeit, über die verschiedenen Aspekte des Schulalltags sowie des Unterrichtsgeschehens zu diskutieren und gemeinsam Lösungen zu finden. Dadurch entwickeln sie ein tiefes Verständnis dafür, warum bestimmte Regeln notwendig sind und zum Wohle jedes einzelnen und der Gemeinschaft beitragen können.
Die Klassenregeln bekommen damit die Qualität der nachvollziehbaren „Sinnhaftigkeit“.

Die demokratische Entscheidungsfindung stärkt das soziale Verantwortungsbewusstsein der Schülerinnen und Schüler. Indem sie aktiv die Regeln gestalten, üben sie bereits durch den Gestaltungsprozess Umsicht, Weitsicht als auch Rücksicht. Sie beweisen Antizipation und Reflexion. Sie erkennen, dass sie selbst einen wesentlichen Beitrag zu einer guten Klassengemeinschaft und zu einem positiven Klassenklima leisten können und sollen.
Die Klassenregeln bekommen damit die Qualität der „Verbindlichkeit“ und „Allgemeingültigkeit“.

Prozess der demokratischen Erarbeitung von Klassenregeln

Die Planung des Prozesses der demokratischen Erarbeitung von Klassenregeln sowie die Auswahl von Methoden dafür, sind bestmöglich auf die jeweilige Klasse abzustimmen. Deswegen gibt es NICHT den einen festgelegten Fahrplan oder die eine funktionierende Methode oder das immer ansprechende Material für den Erarbeitungsprozess.

  1. Jahrgangs- sowie schulartgerechten Einstieg in das Vorhaben, z. B. Wimmelbild, Bildkarten, Wortkarten, Rollenspiele, Konfrontation mit einem negativen und/oder positiven Fallbeispiel, Videoaufzeichnungen, Reflexionsfragen „Warum sind Regeln notwendig?“, absurde Regeln vorstellen, kategorischer Imperativ nach I. Kant, „Peergroup-Regeln“ bzw., „heimlich geltende Regeln“ in der Klasse ansprechen
  2. „Brainstorming“ (Arbeitsblätter "Erarbeitung Klassenregeln"): Als „Arbeitsgrundlage“ werden von den Schülerinnen und Schülern Ideen für Klassenregeln gesammelt, ob in Einzelarbeit, durch Partner-, bzw. Kleingruppenarbeit oder im großen Plenum (Klassenrat) entscheidet die Lehrkraft aufgrund des aktuellen „Klassenklimas“ sowie aufgrund der bereits in der obigen Ausführung aufgezählten Faktoren.
  3. Besprechung/Diskussion/Konsensfindung: Die einzelnen Ergebnisse des Brainstormings werden im Plenum vorgestellt und gemeinsam mit der Lehrkraft besprochen. Zielführend sollte dabei immer die Frage sein, wie diese Regel dabei unterstützt, damit sich alle wohlfühlen und ungestört lernen können. Konkrete Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler und/oder aktuelle Ereignisse, wie nachhaltige Unterrichtsstörungen oder ein Konflikt in der Klasse bieten oftmals einen Aufhänger für das „Miteinander-ins-Gespräch-kommen“.
  4. Gegebenenfalls Weiterentwicklung: Änderungsvorschläge und Ergänzungen können sich direkt aus der Klassendiskussionsrunde ergeben.
  5. Bündelung: Insbesondere beim Brainstorming ergeben sich häufig ähnliche Ideen für eine Klassenregel. Sinngemäße Doppelungen werden zu einer gemeinsam formulierten Regel zusammengefasst.
  6. Priorisierung: Es wird ein „Ranking“ der gesammelten Klassenregeln aufgestellt. Im Konsens als „nebensächlich“ oder „irrelevant“ eingestufte Regeln werden gestrichen.
  7. Auswahl/Abstimmung (Es empfiehlt sich, die fünf Wahlgrundsätze einzuhalten!): Anhand einer demokratischen Abstimmung (öffentlich oder geheim), werden die favorisierten Klassenregeln ermittelt. Es ist empfehlenswert, zuvor die Anzahl der Klassenregeln festzulegen (siehe dazu Punkt „Weniger ist mehr!“ unter „Unterstützung der Schülerinnen und Schüler bei der Darstellung der Klassenregeln“).
  8. Darstellung (Formulierung/Visualisierung; Platzierung im Klassenzimmer): Siehe folgende Dokumente und Ausführungen unter „Unterstützung der Schülerinnen und Schüler bei der Darstellung der Klassenregeln“.
  9. Verbindliche Anerkennung / finaler Beschluss/Verabschiedung durch alle Beteiligten: Die Endfassung der demokratisch erarbeiteten Klassenregeln wird final zur Abstimmung gestellt. Wenn die Endfassung mehrheitlich von den Schülerinnen und Schülern angenommen wurde, verpflichten sich alle Schülerinnen und Schüler sowie sämtliche Lehrkräfte der Klasse, durch das unterschriebene Regelwerk zur verbindlichen Achtung und Einhaltung der Regeln. Das Regelwerk kann auf einem Plakat oder in Vertragsformularen unterschrieben werden.

Unterstützung der Schülerinnen und Schüler bei der Darstellung der Klassenregeln 

Der Regelkatalog für die neuen Klassenregeln sollte so prägnant wie möglich gehalten werden. Je kürzer dieser ist, umso einprägsamer als auch „unvergesslicher“ sind die Klassenregeln. Empfehlenswert ist die „Verknappung“ der Klassenregeln auf eine Anzahl von fünf bis sieben.

Jede Klassenregel sollte prägnant und verständlich formuliert sein, ohne unübersichtliche Nebensätze. Des Weiteren sollte sie möglichst als „Gebot“ und nicht als „Verbot“ verschriftlicht werden. Eine unpersönliche bzw. „unverbindliche“ Dritte-Person-Formulierung gilt es zu vermeiden.

„Plakatierte Klassenregeln“ erfüllen die Grundsätze der

  • prominenten Sichtbarkeit im Klassenzimmer
  • richtig dimensionierten, übersichtlichen, ansprechenden Gestaltung des Regelkatalogs (z. B. in Form eines selbstkreierten Plakates oder einer entsprechend groß ausgedruckten digitalen Präsentation).

Insbesondere für eher jüngere Schülerinnen und Schüler (Unter- und Mittelstufe) empfiehlt es sich, für jede „verabschiedete“ Klassenregel ein einprägsames, schlicht gehaltenes, eindeutig zuordenbares Bild, Emblem, Symbol oder Logo zu kreieren.

Die gemeinsam entwickelten Klassenregeln erhalten den Aspekt der Verbindlichkeit und Allgemeingültigkeit, wenn alle Beteiligten (inklusive der Lehrkräfte) den plakatierten Regelkatalog und/oder einen „Regelvertrag“ unterschreiben. Dies erinnert die Schülerlinnen und Schüler daran, dass sie die vereinbarten Regeln anerkennen und sich daran halten wollen.

Demokratisch erarbeitete Klassenregeln garantieren nicht per se, dass diese ausnahmslos oder wie selbstverständlich eingehalten werden. Die Wahrscheinlichkeit der nachhaltigen Umsetzung und Befolgung durch die Schülerinnen und Schüler als auch durch die Lehrkräfte erhöht sich zwar signifikant, dennoch bedarf es auch hier einer passenden Nachbetreuung bzw. Nacharbeit.

  • Auch die Einhaltung der Klassenregeln lernen die Schülerinnen und Schüler ähnlich wie Mathematik oder Deutsch. Deshalb ist es unabdingbar, im Nachgang auf eine attraktive sowie angemessene Art und Weise Unterrichtseinheiten zu den geltenden Klassenregeln durchzuführen. Altersgerechte Trainingseinheiten, Selbst- sowie Gruppenerforschung, Fallbesprechungen, Rollenspiele, Reflexionsrunden sollten demnach regelmäßig angeboten werden.
  • Die im demokratischen Findungsprozess aufgestellten Klassenregeln spiegeln den Charakter der Klasse wider, dieser unterliegt aber einer Gruppendynamik, deshalb sollten die Klassenregeln stets auf einem aktuellen Stand gehalten werden. Das bedeutet, dass die Möglichkeit des Feedbacks und in der Folge gegebenenfalls die Überarbeitung / Modifizierung der Klassenregeln fest installiert sein sollten.

Die Lehrkraft ist im Allgemeinen für die Schülerinnen und Schüler das wichtigste Vorbild in der Schule. Deswegen ist es unabdingbar, ja selbstverständlich, dass die Lehrerinnen und Lehrer, insbesondere die Klassenleitungen sich ausnahmslos an die erarbeiteten Klassenregeln halten und diese im besten Fall vorleben.

Antizipativ nun eine Aufstellung von möglichen Klassenregeln, die Schülerinnen und Schüler demokratisch erarbeiten könnten:

  • Wir lassen einander ausreden.
  • Wir gehen respektvoll und freundlich miteinander um.
  • Ich bin pünktlich.
  • Wir verlassen das Klassenzimmer sauber und aufgeräumt.
  • Ich halte Ordnung an meinem Arbeitsplatz.
  • Ich melde mich.
  • Ich höre zu.
  • Ich bin im Unterricht aufmerksam.
  • Ich bin leise.
  • Ich werfe keine Gegenstände durch den Raum.
  • Ich achte das Eigentum meiner Mitschülerinnen und Mitschüler.
  • Ich gehe pfleglich mit Schul- und Arbeitsmaterialien um.
  • Wir helfen einander.
  • Ich erledige meine Klassendienste und Aufgaben zuverlässig.
  • Ich bin pünktlich.
  • Ich warte, bis ich an der Reihe bin.
  • Wir reden miteinander und nicht übereinander.
  • Ich sage die Wahrheit.
  • Wir arbeiten und halten zusammen.
  • Wir grenzen niemanden aus.
  • Wir sind ein Team.
  • Ich schalte mein Handy aus.
  • Ich esse in der Pause.
  • Ich gehe in der Pause auf die Toilette.
  • Ich lege vor der Unterrichtsstunde meine Materialien zurecht.
  • Ich renne nicht durch das Klassenzimmer oder das Schulhaus.

Interview mit einer Schülerin über Klassenregeln

Frau Reinhard: Hallo Jana, schön, dass ich dich jetzt hier begrüßen darf zu dem Interview. Wir haben das Thema Klassenregel und da habe ich jetzt ein paar Fragen an dich. Erste Frage, wie wurden denn die Klassenregeln in deiner Klasse festgelegt? #00:00:00#

Jana: Wir haben unsere Give-MeFive-Regeln nochmal selbst überlegt. Also Sie haben uns die normalen Give-Me-Five-Regeln gegeben und da haben wir uns quasi für jeden Finger eine eigene noch überlegt und abgestimmt welche fünf am besten wir in der Klasse fanden. #00:00:16#

Frau Reinhard: Okay jetzt kommen wir zur Frage 2. Haben sich alle Mitschülerinnen und Mitschüler an der Festlegung der Klassenregeln beteiligt? Und wie war die Zusammenarbeit unter euch? #00:00:35#

Jana: Also wir haben uns in Gruppen eingeteilt, in Kleingruppen, so zu dritt oder zu viert, und dann haben wir erstmal auf dem Arbeitsblatt oder Blockblatt selbst Sachen in der Gruppe aufgeschrieben und dann am Schluss an die Tafel, die geschrieben, die genannt worden sind und dann zusammen eben abgestimmt, welche am besten war. #00:00:49#

Frau Reinhard: Ja, super, okay, dann kommen wir gleich zur Frage 3. Welche Rolle und welche Aufgaben hattest du bei der Erarbeitung der Klassenregeln? #00:01:11#

Jana: Ich habe mit einem Klassenkameraden oder Klassenkameradin / haben wir das alles an die Tafel geschrieben. Und dann jeden Einzelnen gefragt und dann immer einen Strich hinter die Frage gemacht. #00:01:23#

Frau Reinhard: Mhm. #00:01:38#

Jana: Und die, die am meisten genannt wurden, haben wir dann genommen. #00:01:38#

Frau Reinhard: Okay gut, dann die Frage 4. Gab es denn Streit oder Probleme bei der Einigung auf die Klassenregeln? #00:01:42#

Jana: Nein, also wir konnten alle alle sehr gut damit dann / wir sind alle sehr gut damit zurechtgekommen, mit dem Strich dahinter setzen. #00:01:53#

Fr. Reinhard: Mhm, und das haben auch alle so akzeptiert, die Mehrheit, die dann zustande kam. #00:02:02#

Jana: Ja, ja. #00:02:06#

Fr. Reinhard: Frage 5. Was findest du gerechter, wenn ihr die Klassenregeln zusammen festlegt oder wenn eure Lehrkräfte die Regeln vorgeben? #00:02:10#

Also ich persönlich fand es ganz gut, dass wir jetzt unsere eigenen machen durften, aber Sie uns trotzdem auch die, ich sag mal typischen Give-Me-Five-Regeln noch dazu gegeben haben, dass von beiden Seiten was da war. #00:02:21#

Fr. Reinhard: Okay wunderbar. Dann Frage 6. Welche Vorteile siehst du darin, dass eure Klassenregeln gemeinsam erarbeitet werden? Könnte es zum Beispiel sein, dass ihr dadurch mehr bereit seid, auch diese Regeln einzuhalten? #00:02:38#

Jana: Also ich würde sagen, meistens halten wir die auch mehr ein, we / weil wir einfach die selbst gemacht haben und dazu bisschen mehr so einen Bezug haben, sag ich mal. Aber wir ignorieren ihn manchmal natürlich auch so, und meistens tun wir die nor / die normalen Give-me-five-Regeln dann mehr beachten als unsere eigenen (lacht). #00:02:56#

Fr. Reinhard: Ok, danke. Dann (...) halten sich denn die Lehrkräfte, die in deiner Klasse unterrichten, auch an die von euch erarbeiteten Klassenregeln? #00:03:21#

Jana: Ich habe noch nie mitgekriegt, dass es jemand richtig sich durchgelesen hat. So und richtig drauf geachtet hat, es durchzulesen. Aber ich glaube schon, dass eigentlich alle sich daran halten (...), ja. #00:03:34#

Fr. Reinhard: Mhm, okay, dann kommen wir zur Frage 8. Wie wirken sich eure Klassenregeln auf die Stimmung in der Klasse und das Lernen im Unterricht aus? #00:03:48#

Jana: Also wir bemühen uns natürlich darauf zu achten, dass wir uns melden oder die anderen ausreden lassen und nicht über unangemessene Themen reden (lacht), während der Unterricht oder so, aber manchmal passierts natürlich, dass man nicht so drauf achtet. #00:04:02#

Fr. Reinhard: Ok, vorletzte Frage. Gab es Situationen, in denen du eure Klassenregeln als besonders hilfreich oder als problematisch empfunden hast? #00:04:20#

Jana: Also ich denke, dass anfangs auf jeden Fall das viel geholfen hat, weil wir es eben auch da noch sehr frisch selbst uns ausgedacht hatten und auch jetzt so im Ende hingegen fallen die natürlich oft ein bisschen weg, weil wir uns nicht mehr ganz daran erinnern, aber oft helfen die schon bei Streitigkeiten oder so. #00:04:33#

Fr. Reinhard: Mhm, okay dann kommen wir zur letzten Frage, fändest du es gut, wenn es auch Regeln für die ganze Schule gibt und wie sollen die dann deiner Meinung nach erarbeitet werden? #00:04:58#

Jana: Also wir haben ja Schulregeln schon gemacht und das war in der Klassensprecherversammlung, da haben wir jeder Klasse ein Blatt gegeben, wo dann die Klasse demokratisch Sachen aufgeschrieben hat und die wurden dann ausgezählt und das sind dann unsere Schulregeln geworden. #00:05:10#

Fr. Reinhard: Jawohl, wunderbar Jana. Vielen, vielen Dank für deine Bereitschaft, das Interview mit mir zu führen und dann wünsche ich dir noch alles Gute. #00:05:30#

Jana: Dankeschön. #00:05:41#


Quellenverzeichnis:

Doyle, W. / Doyle, L. (2012): Classroom organization and management. In: Richardson, V. (Hrsg.): Handbook of research on teaching. 4th ed. Washington: American Educational Research Association, 256-347.

 

Weiterführende Literatur:

Nida-Rümelin, J. / Zierer, K. (2023): Demokratie in die Köpfe. Warum sich unsere Zukunft in den Schulen entscheidet. Stuttgart: Hirzel.

Forschung und Lehre (07.09.2023): Lehrpläne. Professoren rufen zu mehr demokratischer Bildung in Schulen auf. Online: https://www.forschung-und-lehre.de/politik/forschende-rufen-zu-mehr-demokratischer-bildung-in-schulen-auf-5891 [09.10.2024].