Lernwirksamer Unterricht wird ermöglicht durch sozial förderliche Rituale
Unterrichtsstörungen und der Umgang mit diesen sind für viele Lehrpersonen in ihrem Unterrichtsalltag eine große Herausforderung. Aus Sicht vieler Schülerinnen und Schüler spielt die allgemeine Wertschätzung einer Lehrperson, wie auch die Beziehung zwischen ihnen, eine zentrale Rolle für die Entstehung und Erklärung von Unterrichtsstörungen. Somit führt eine gute Beziehung auch zu weniger Unterrichtsstörungen, da sich die Schülerinnen und Schüler ernst genommen, akzeptiert und wertgeschätzt fühlen (Scherzinger et al., 77 ff; Thiel / Ophardt 2022, 27). Eine gute Beziehung zwischen Lehrperson und Lernenden und zwischen den Lernenden untereinander, sowie ein gutes Klassenklima kann durch sozial förderliche Rituale unterstützt werden.
Bei Ritualen handelt es sich um Handlungen bzw. um die Aneinanderreihung mehrerer Handlungen, welche die Verbundenheit und gegenseitige Anerkennung der Interaktionspartnerinnen und Interaktionspartner untereinander aufwerten und zeigen (Goffman 1983, zit. n. Thiel / Ophardt 2022, 22). Sie sollen das soziale Miteinander in einem Klassenzimmer fördern. Die wohl wirksamste Methode für ein positives Miteinander ist das Lob. Der Lehrkraft fällt in diesem Bezug eine wichtige Funktion zu, indem sie den Schülerinnen und Schülern als sprachliches Modell dient und ihnen in ihrem Wirken ein Vorbild ist (Thiel / Ophardt 2022, 18). Das Lob gibt den Schülerinnen und Schülern nicht nur eine Rückmeldung über eine gute Arbeitsweise. Es dient vielmehr der positiven Verstärkung und der Zielorientierung. Durch ein gut eingesetztes und ehrliches Lob kann die Lehrkraft den Lernenden zeigen, welches Verhalten sie erwartet und erhöht zudem die Effizienz des Lernens durch positive Rückmeldung.
Im Folgenden werden verschiedene sozial förderliche Rituale vorgestellt, die sowohl die Schülerinnen und Schüler, als auch deren Lehrkräfte im sozialen Miteinander stärken und das Klassenklima positiv beeinflussen können. Da die Lehrkraft immer Teil der Klassengemeinschaft ist, ist es wichtig zu erwähnen, dass die Klassenlehrkraft an jedem dieser Rituale selbst aktiv teilnimmt.
Gefühlsrunde
Stunden- oder Wochenziel
Reflexionsrunde
Klassenrat
Warme Dusche
Zeitsparglas
Wall of fame
Wochenreflexion
Entschuldigungsbriefe
Alle Fotos © ISB
Zu Tagesbeginn bietet sich eine „Gefühlsrunde“ an. Diese kann Bestandteil des Morgenrituals sein oder als tägliche Aufgabe am Morgen erfolgen. Durch das Formulieren der eigenen Gefühle, wissen sowohl Lehrkraft als auch Lernende, wie es einer Schülerin bzw. einem Schüler an einem Tag geht und können ihr Verhalten demjenigen gegenüber anpassen bzw. individuell auf die Gefühle einzelner, wie Trauer oder Wut, eingehen. Bei einer „Gefühlsrunde“ ist es besonders wichtig, auf ein positives Miteinander und die Gefühlswelt der Schülerinnen und Schüler zu achten. Die Lehrkraft sollte als Vorbild agieren, indem sie genau zuhört, die Gefühle ernst nimmt und niemanden zu einer Äußerung zwingt. Lernende, die sich nicht äußern wollen, sollten in ihrer Entscheidung respektiert wernden und ein persönliches Gesprächsangebot bekommen.
Materialien im LehrplanPLUS:
Wortschatzarbeit im Bereich Emotionen: https://www.lehrplanplus.bayern.de/serviceinformation/l310258
Das Stunden- oder Wochenziel wird gemeinsam mit der Klasse besprochen. Hierbei handelt es sich um sozial-förderliches Ziele, welche die Klassengemeinschaft und das gemeinsame Arbeiten betreffen. Hier kann einerseits die Lehrkraft wählen, welches Ziel sie als nötig empfindet, andererseits kann das Wochenziel auch mit den Schülerinnen und Schülern im Klassenrat besprochen werden. Je nach Klassenstruktur sollten die Ziele nur stundenweise gewählt werden, um den Lernenden die Möglichkeit der positiven Rückmeldung geben zu können. Hier ist es sehr wichtig, die Schülerinnen und Schüler im gewählten Ziel nicht zu überfordern, da ein Lob das Klassenklima und das Einhalten des Ziels umso mehr stärkt. Eine Möglichkeit der Umsetzung ist auch das so genannte TeamPinBoard von Kleindiek (Kleindiek 2020).
Eine Reflexionsrunde bietet sich in vielen Bereichen des Schulalltages an. Im Bereich der sozial–förderlichen Rituale kann sie vor allem zur Nachbereitung von Gruppen- und Partnerarbeiten eingesetzt werden. Die Lernenden erhalten dadurch die Möglichkeit über das eigene Verhalten nachzudenken, z. B. wie sie das Miteinander positiv beeinflussen können.
Der wöchentliche Klassenrat dient der Besprechung von Problemen und Streitigkeiten zwischen den Lernenden. Auch Probleme mit Lehrkräften, Wünsche oder Klassen- und Verhaltensregeln können hier besprochen werden. Er ist ein wichtiger Teil der demokratischen Erziehung der Schülerinnen und Schüler.
Jeder Klassenrat beginnt mit einer sogenannten Positivrunde. Hier bekommt jede Schülern bzw. jeder Schüler der Klasse von einer Mitschülerin bzw. einem Mitschüler oder der Lehrkraft ein Kompliment. Die Zuteilung der Komplimente kann über Lose erfolgen, so dass die Lernenden üben, auch anderen Personen als ihren Freunden ein Kompliment zu machen.
Zu Beginn sollte das Geben eines Kompliments besprochen und geübt werden. Hier unterstützen vor allem Satzstarter die Schülerinnen und Schüler beim Formulieren eines Kompliments.
Auch das Einbringen und das Besprechen von Vorschlägen, Wünschen oder Beschwerden müssen zunächst durch die Lehrkraft demonstriert und präsentiert werden. Aufgrund dessen sollte die Lehrkraft zunächst den Klassenrat leiten, bis sie die Leitung ganz an die Schülerinnen und Schüler abgeben kann.
Abweichungen im Ablauf und in der inhaltlichen Ausgestaltung eines Klassenrats sind möglich.
Materialien im LehrplanPLUS:
Sprachliche Unterstützung im Ritual Klassenrat: https://www.lehrplanplus.bayern.de/serviceinformation/l310251
Bei der „warmen Dusche“ bekommt eine Schülerin oder ein Schüler von der gesamten Klassen Komplimente. Dies bietet sich z. B. als Geburtstagspost oder nach Bedarf an. Alle Lernenden überlegen für sich, welche Dinge er an einer Person der Klasse gut findet und mag. Dies wird aufgeschrieben und feierlich an die betroffene Person übergeben.
Das Zeitsparglas, als Verstärkersystem, kann ebenfalls als sozial–förderliches Ritual eingesetzt werden. Immer wenn die Klasse oder die Lehrkraft Zeit, z. B. durch „gutes Arbeiten“, „schnelles Arbeitsbereit-Sein“ oder „Nicht-Warten-Müssen“, eingespart hat, bekommt die Klasse eine Murmel (Token). Ist das Glas voll, wird die gewonnene Zeit „verschwendet“ und die Schülerinnen und Schüler dürfen sich etwas wünschen. Hier ist es wichtig, zu Beginn sehr häufig das Zeitsparglas einzusetzen, um die Klasse positiv verstärken zu können. Auch kann die ersparte Zeit durch mehrere Aktivitäten entnommen werden, welche unterschiedlich viel Zeit in Anspruch nehmen: z. B. halbes Glas 45 Minuten, ganzes Glas 90 Minuten.
Mit der Wall of Fame können individuelle Leistungen oder Erfolge von Schülerinnen und Schülern gewürdigt werden. Dabei können unterschiedliche Materialien oder auch Beschreibungen von Leistungen aufgehängt werden. Sie eignet sich z. B. insbesondere für kreative Leistung im Fach Kunst, die ersten mit Zirkel gezeichneten Kreise von motorisch eingeschränkten Schülerinnen und Schülern sowie ein Arbeitsblatt mit vielen richtigen Rechenaufgaben von Lernenden, welche sich im Fach Mathematik deutlich weiterentwickelt haben. Die öffentliche Darstellung dient dazu, die Schülerinnen und Schüler in ihrem Selbstwert zu fördern und Lob, sowie Anerkennung unter den Lernenden zu evozieren. Deswegen ist es besonders wichtig darauf zu achten, möglichst alle Schülerinnen und Schüler zu berücksichtigen.
Mithilfe eines Reflexionsarbeitsblattes "Meine Woche" reflektieren die Schülerinnen und Schüler regelmäßig und konsequent ihr Verhalten innerhalb der vergangenen Woche. Dabei können unterschiedliche Aspekte beleuchtet werden. Eine Liste mehrerer positiver Verhaltensweisen wird hierbei aufgelistet und mithilfe von Smileys von den Schülerinnen und Schülern bewertet, z. B. "Ich war freundlich und höflich" oder "Ich habe Konflikte ruhig gelöst". Die Bewertung kann in unterschiedlichen Abstufungen erfolgen.
Zuerst reflektiert jede Schülerin bzw. jeder Schüler selbst. Im Anschluss bewertet auch die Lehrkraft und meldet dies zurück. Dadurch sieht die Lehrkraft, wie sich die Schülerin bzw. der Schüler selbst wahrnimmt. Wenn möglich, werden auch die Erziehungsberechtigten über das Verhalten informiert. Somit sind alle am Erziehungsprozess beteiligten Personen einbezogen und haben einen Überblick über das gezeigte Verhalten.
Um Konflikte erfolgreich und zügig zu lösen, gibt es die Möglichkeit, vorformulierte Entschuldigungsbriefe im Klassenzimmer bereit zu stellen. Mit deren Hilfe können die Schülerinnen und Schüler eigene Entschuldigungen mündlich als auch schriftlich aussprechen.
Oftmals haben Schülerinnen und Schüler Schwierigkeiten, die richtigen Worte für eine Entschuldigung zu finden oder sie entschuldigen sich sehr oberflächlich bzw. mit immer denselben Worten. Dies führt häufig dazu, dass der Konflikt zwischen den Beteiligten nicht ausreichend geklärt ist und dann zu einer Ausweitung führt. Mithilfe der Entschuldigungsbriefe erhalten die Schülerinnen und Schüler Unterstützung, einen Konflikt endgültig zu klären.
Kleindiek, G. (2020): Das TeamPinBoard. Online: https://www.teampinboard.de/ [09.10.2024].
Scherzinger, M. / Wettstein, A. / Wyler, S. (2017): Unterrichtsstörungen aus der Sicht von Schülerinnen und Schülern und ihren Lehrpersonen. Ergebnisse einer Interviewstudie zum subjektiven Erleben von Störungen. In: Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete, 86 (1), 70-83.
Thiel, F. / Ophardt, D. (2022): Klassenmanagement als Basisdimension der Unterrichtsqualität.In: Journal für LehrerInnenbildung 22 (2022) 4, 16-35. Online: https://jlb-journallehrerinnenbildung.net/download?wpdmdl=1498 [30.07.2024].
Materialien im LehrplanPLUS:
Sprachrituale für ein wertschätzendes Klassenklima: https://www.lehrplanplus.bayern.de/serviceinformation/l310249